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Gedenken an Johann Hinrich Wichern, der am 7. April 1881 -vor 140 Jahren- im Alter von 72 Jahren in Hamburg starb.

„Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel; nur mit einer schweren Kette binden wir dich hier, du magst wollen oder nicht; du magst sie zerreißen, wenn du kannst; diese heißt Liebe, und ihr Maß ist Geduld.. Dies bieten wir dir, was wir fordern, ist zugleich das, wozu wir dir verhelfen wollen, nämlich dass du deinen Sinn änderst und fortan dankbare Liebe übst gegen Gott und Menschen!“ 

– mit diesen Worten begrüßte Johann Hinrich Wichern neu ankommende Kinder und Jugendliche im Rauhen Haus in Hamburg. Er erklärte: Mit dem Eintritt in dieses Haus ist ALLES ohne Ausnahme vollständig und für immer vergeben. Doch ein Gebot hatte jedes Kind zu beachten: mit niemandem über vergangene Dinge zu reden. Das war Wicherns Theologie und Pädagogik: Vergangenes ist vergangen – es wird nichts nachgetragen und nicht geprahlt. Mit dem Eintritt ins Rauhe Haus beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der Zukunftsperspektive eröffnet.

»Zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder«

Zu diesem Leitgedanken hatte es Wichern gedrängt, weil er als Oberlehrer einer Sonntagsschule an den Schicksalen solcher Kinder litt. So begann er im November 1833 mit zunächst drei Jungen die Arbeit des Rauhen Hauses.

Alle Kinder lebten in familienähnlichen Gruppen und erhielten individuellen schulischen Unterricht, der auch musische Fächer umfasste. Gleichzeitig wurden sie in anstaltseigenen Werkstätten handwerklich ausgebildet. Bemerkenswert sind zwei Punkte:

1. Seine Pädagogik:

Mit dem Gedanken, über Vergangenes zu schweigen, war Wichern (sowie Johannes Falk u. a.) seiner Zeit revolutionär weit voraus.

Denn damals waren Prügelstrafen und harte Kinderarbeit üblich. Doch bei ihm im Rauhen Haus bekamen Jugendliche eine schulische und berufliche Ausbildung. Durch Schweigen über Vergangenes einen Neuanfang zu ermöglichen, war revolutionär und wäre auch heute in Zeiten von Biografiearbeit pädagogischer Sprengstoff. Wären wir dazu bereit?

2. Sein Glaube:

Geprägt war Wichern von einer pietistischen Frömmigkeit, die in den Alltag hineinstrahlte. Auch der Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen im „Rauhen Haus“ mit Familie, Schule und Arbeit war davon geprägt. Die Jugendlichen sollten zu »selbständigen Bürgern im Reich Christi« heranwachsen. Zur Betreuung wurden junge Männer (»Brüder«), zumeist Handwerker, in einem »Gehülfeninstitut« (ab 1844 »Brüderanstalt«) ausgebildet. Diese „Brüder“ waren in verschiedenen sozialdiakonischen Arbeitsfeldern weit über Hamburg hinaus begehrt.

Wichern bezeichnete ihre Arbeit als »Innere - inländische – Mission«. Er war überzeugt: Glaube öffnet unsere Augen für die Nöte der Welt und geht mit Liebe darauf zu.

Wichern war einer der Begründer der Diakonie im 19. Jahrhundert. Solche Glaubenszuversicht und Nächstenliebe sind auch heute gefragt.

Text von Oberkirchenrat i.R. Christian Schönfeld

 

Gedenkmarke zum 200. Geburtstag von Johann Hinrich Wichern (2008)Gedenkmarke zum 200. Geburtstag von Johann Hinrich Wichern (2008)
So sieht Wicherns erste Wirkungsstätte, das Rauhe Haus in Hamburg, heute aus. (Foto © Gisela Köhler/Das Rauhe Haus)So sieht Wicherns damalige Wirkungsstätte, das Rauhe Haus in Hamburg, heute aus. (Foto © Gisela Köhler/Das Rauhe Haus)