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Wir werden gern gesehen und wahrgenommen. Manche ziehen sich dafür bunt und schrill an, andere möchten ihren Körper durch Tattoos und Piercings zu einem Kunstwerk machen. Das ist nicht zu übersehen. Aber oft bleibt der Blick an Äußerlichkeiten hängen. Ein früherer Kollege, der gehörlos war, aber umso genauer hingeschaut hat, fragte mich: „Was ist los mit dir, Thomas?“ – Andere hatten nichts bemerkt, meine Maske hatte funktioniert. Aber er hatte genau hingesehen und wahrgenommen, dass mich etwas bewegte. – Es tut gut, wahrgenommen zu werden! Wir dürfen uns zeigen, gesehen werden und Hilfe annehmen. Und wir können uns darin üben, andere wahrzunehmen und Hilfe anzubieten.

Im neuen Jahr begleitet uns die Jahreslosung 2023, ein Satz der Bibel, in dem es um das Gesehenwerden geht:

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13)

Das ist die Erfahrung von Hagar, einer schwangeren Sklavin. Abram, ihr Besitzer, gilt als „Stammvater des Glaubens“. Gott hatte ihm einen Sohn versprochen. Doch er und seine Frau Sarai wurden alt. Nachwuchs stellte sich nicht ein, stattdessen Glaubenszweifel. Hagar hatte darunter zu leiden. Sie schien die Lösung zu sein: als „Leihmutter“. Tatsächlich wurde sie schwanger. War das Liebe? Oder Missbrauch? Das bleibt unkommentiert. Aber es war keine gute Lösung. Es entstand ein vorhersehbarer Konflikt – weil es Abram und Sarai an Gottvertrauen fehlte. Hagar, die missbrauchte Sklavin, war die Leidtragende. Auch sie war nicht fehlerfrei, wurde stolz und es wurde schwierig, noch bevor ihr Kind geboren wurde. So floh sie.

Die gefährliche Flucht einer schwangeren Frau in die Wüste! Aber Gott sieht ihre Not. Ein Gottesbote sagt ihr, dass sie nicht übersehen wird. Gott wird für sie und ihren Sohn sorgen. Staunend hört sie den Engel. Staunend schaut sie ihm nach und erkennt, dass Gott sie wahrgenommen hat: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Sie kann nichts für ihre Schwangerschaft! Aber schuldlos ist auch sie nicht. Gott sieht es. Er nimmt ihre Not wahr. Er meldet sich zu Wort und schenkt Hoffnung und Leben (nachzulesen im 1. Buch Mose [= Genesis], Kapitel 16).

Auch wir erleben solche Geschichten: Wir verstecken uns, fliehen, tragen Masken und wollen doch gesehen werden! Wir kennen Glaubenszweifel, Fehlentscheidungen und Schuld bis hin zum Missbrauch. All das gibt es leider immer noch. Aber Gott sendet seine Boten zur Ermutigung und zur Hilfe! Manchmal sind es Engel, manchmal Menschen. Unverändert ist es Gott, der uns begegnet und uns sieht. Er nimmt unsere Not wahr und hilft zum Leben.

In diesem Sinne wünsche ich uns Gottes Beistand und Segen für 2023! 

 

Blick aus einer Betonröhre in den Himmel – Motiv zur Jahreslosung 2023 „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13 

Pfarrer Thomas Günzel