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Am 21. September 2022 ist Welt-Alzheimertag – ein Aktionstag inmitten der „Woche der Demenz“, um die Öffentlichkeit auf die Situation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen aufmerksam zu machen. Das diesjährige Motto lautet „Demenz – verbunden bleiben“. Wie können die Diakonie Kliniken Zschadraß Betroffenen und ihren Familien helfen, mit ihrem Umfeld und ihrem gewohnten Leben verbunden zu bleiben? Wir nutzen den Aktionstag, um im Interview bei Chefarzt Dr. med. Oliver Somburg nachzufragen.

Dr. Somburg, was ist aus Ihrer Sicht wichtig, damit an Demenz Erkrankte miteinander und mit ihren Angehörigen verbunden bleiben?

Dr. Oliver Somburg: Wenn Betroffene an einer Demenz erkranken, dann kommt zunächst der fachneurologischen und fachpsychiatrischen Abklärung, ob und welche Form einer Demenz vorliegt, ob und wie diese behandelbar ist, eine besondere Bedeutung zu. Aber ebenso wichtig ist die sozialpsychiatrische und sozialdienstliche Abklärung, ob und wann in dem individuellen Krankheitsverlauf, welche angepassten Hilfen und Unterstützungen erforderlich sind, um den Betroffenen ein möglichst langes Verbleiben in ihrer vertrauten Umgebung zu ermöglichen.

Die Demenz-Erkrankung stellt Angehörige nicht selten vor ungeahnte Herausforderungen. Sie fühlen sich verunsichert, weil sie oft nicht wissen, was auf sie zukommt. Wie sie mit der Betroffenheit umgehen sollen und vor allem in dem allmählich sich verändernden Umgang miteinander: selbstverständliche Dinge werden verlegt und nicht wiedergefunden, kleine Hol-Aufträge werden vergessen oder nur teilweise erfüllt. Die Betroffenen haben teilweise kein Störungsbewusstsein und überschätzen sich, begehen Fehlhandlungen und haben dennoch nicht selten eine erhaltene Fassade usw. Oft entsteht Ärger und Frust auf beiden Seiten.

Hier sind dennoch die Angehörigen eine ganz besondere Ressource, den Umgang mit Demenz-Erkrankten zu erlernen, geduldig, nachsichtig und großzügig zu bleiben.

Manchmal regelrecht „fünfe grade sein zu lassen“, wie es im Volksmund heißt, um die so wertvolle Beziehung zu- und miteinander nicht zu gefährden oder unnötig zu belasten. Den Betroffenen ‚nehmen zu wissen‘ und vom eigenen, gewohnten Anspruch der Ordnung abzulassen, ihn anzupassen und sich mehr auf die unschätzbare Kraft der umsichtigen Begleitung einzustellen.

Was Betroffenen mit einer Demenz-Erkrankung hilft ist, unabhängig, ob sie stationär, teilstationär oder ambulant bzw. zu Hause sind, wenn sie in viele kleine Alltags-Entscheidungen einbezogen werden, z.B. ob die Blumen Wasser brauchen, was sie anziehen möchten, was es heute zum Mittag geben soll, wobei sie mithelfen können… Das stimuliert das Gehirn auch weiterhin und verstärkt die unbedingte Zugehörigkeit. Auch körperliche Bewegung und Sinnesreize stimulieren in besonderer Weise, wie: gemeinsam raus- und spazierengehen, sie einbeziehen selbst als stiller Begleiter bei den eigenen gewohnten Tätigkeiten, sei es beim Chorsingen oder beim Sport, beim Tanzen oder Spielen.


Von den Patientenzimmern der Gerontopsychiatrie hat man einen guten Blick auf die sogenannten "Orte der Stille".


Was genau bedeutet ‚Gerontopsychiatrie‘ und wie wird dieser Bereich im Fachkrankenhaus umgesetzt?

Dr. Oliver Somburg: Demenz-Erkrankungen verursachen nicht selten eine hohe innere und äußere Störbarkeit. Die Flexibilität der Anpassung und Umstellung ist sehr eng geworden. Die Selbstfürsorge beim Essen und Trinken oder die biologische Rhythmik ist gestört. So dass psychopathologische Symptome mit Krankheitswert entstehen, wie beispielsweise Desorientiertheit und Verwirrtheit oder Fehlhandlungen durch Verkennungen der Situation oder auch Fehlverarbeitungen von Wahrnehmungen, ein gestörter Tag-Nachtrhythmus usw. Diese können die Betroffenen mit einer Demenzerkrankung selbst und / oder andere in Gefahr bringen.

Dann brauchen sie unbedingt medizinische Hilfe, die auf einer gerontopsychiatrischen Abteilung eines Fachkrankenhauses, wie sie in den Diakonie-Kliniken Zschadraß, 24 Stunden am Tag unter der Leitung von Oberärztin Dr. Preger als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und als Fachärztin für Neurologie bereitsteht. Hier werden rasch Ursachen für die Symptomatik diagnostiziert und es wird eine entsprechende Behandlung durchgeführt.

Wichtig ist in unserem Behandlungsansatz, dass natürliche Gleichgewichte, die Regelmäßigkeit und Rhythmik in den basalen Bedürfnissen des menschlichen Organismus zuerst wiederhergestellt werden.

Durch die Unterstützung des immer wieder fürsorglich und engagiert arbeitenden Pflegepersonal auf unserer Station 6, werden vorhandene Aktivitäten rasch wieder gefördert und unterstützt. So dass die akut krankheitsbedingten Einbußen behoben und die vorhandenen Kompetenzen der Betroffenen mit einer Demenzerkrankung möglichst entweder wiederhergestellt und / oder erhalten bleiben. Oft ist dazu auch eine medikamentöse Unterstützung unumgänglich. Auch hier werden, je nach Akuität und so, wie es die Situation erlaubt, zunächst pflanzliche Stoffe angewendet, bevor synthetische Arzneiformen eingesetzt werden. Wir haben auf unserem Parkgelände der Klinik Pfade der Achtsamkeit etabliert. Einer davon soll in naher Zukunft auch Menschen von der gerontopsychiatrischen Station als achtsames Training der Sinne zur Verfügung stehen. Auch der engmaschige Kontakt zu den Angehörigen ist von hervorzuhebender Bedeutung um über die Erkrankung und den zu erwartenden Verlauf aufzuklären, die Möglichkeiten der weiteren Versorgung zu besprechen und die professionellen Hilfen und Unterstützungen zu veranlassen.


Das Team der Station 6 (Gerontopsychiatrie) ist mit Engangement und Fürsorge für die Patienten da.


 

Es gibt auch eine Demenzsprechstunde am Klinikum, richtig? Für wen ist die Sprechstunde gedacht und wie funktioniert sie?


Dr. Oliver Somburg: Wir haben seit vielen Jahren eine Demenzsprechstunde. Diese besteht in einer multiprofessionellen und kompakten Erstdiagnostik: durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie, erfolgt klinisch die Exploration und Untersuchung. Anschließend wird die spezifische neuropsychologische Testdiagnostik durch die leitende Psychologin durchgeführt. Danach erfolgt die computertomografische Bildgebung, parallel wird Blut für spezifische Untersuchungen abgenommen. Eine sozialdienstliche Beratung der Angehörigen über Hilfen und Unterstützungen wird am Diagnostik-Tag gewährleistet. Anhand der Ergebnisse wird entschieden, ob und welche weiterführende Diagnostik unter stationären Bedingungen, entweder neurologisch oder psychiatrisch erforderlich ist.

Die weiteren Termine der Wiedervorstellung werden dazu genutzt, sowohl die Betroffenen mit einer Demenz-Erkrankung als auch die Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung und der veränderten Situation zu Hause zu unterstützen. Medikamentöse Therapien (pflanzlich / synthetisch) werden, wenn erforderlich, angewendet, wertschätzende Umgangsweisen und selbstfürsorgliche Grundhaltungen vermittelt, nützliche Alltagsaktivitäten gefördert, um die Kraft der Vertrautheit in der häuslichen Umgebung zu sichern. Dadurch wird die Not der Ungewissheit und Unsicherheit für Angehörige genommen oder entlastet.

Die Sprechstunde findet einmal in der Woche statt und bedarf zur Erstdiagnostik und Terminplanung sowie zur ambulanten Fortführung der Therapie nach einer stationären Behandlung, der telefonischen Anmeldung über die Psychiatrische Institutsambulanz.  


Die Demenz-Sprechstunde am Fachkrankenhaus findet wöchentlich statt und ist erster Anlaufpunkt für Betroffene bzw. Angehörige.


 

Was raten Sie Angehörigen von Demenzerkrankten, gerade wenn die Diagnose noch frisch ist?

Dr. Oliver Somburg: Eine immer wieder tiefberührende Erfahrung aus der Demenzsprechstunde ist es, dass die Akzeptanz nicht nur der Diagnose, sondern ganz vordergründig des betroffenen Menschen, der an der Demenz erkrankt ist, plötzlich Ängste löst.

Anstelle dessen tritt die Bereitschaft füreinander da zu sein, Begleitung, Unterstützung und Hilfe anzunehmen und auch Zuversicht zu verspüren, dass es ein gemeinsamer Weg wird und die Betroffenen und die Angehörigen nicht allein sind.

Die Kraft der Nicht-Betroffenen, sich auf die Betroffenen mit einer Demenz-Erkrankung einzustellen, erlernen zu wollen, wie in einem Prozess des krankheitsbedingten Wandels dennoch zwischenmenschliche Nähe, Zuwendung, Liebe und Geborgenheit so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung erhalten bleibt, das erleben wir immer wieder auf dem gemeinsamen Weg der Fürsorge und ärztlich-therapeutischen Begleitung. Angehörige lernen eigene Bewertungen in Frage zu stellen, rigides Selbstverständnis abzulegen, die sinnentleerte Kraftverschwendung aufzugeben und die vorhandenen Kräfte wertfrei auf das zu konzentrieren, was gebraucht wird.

Natürlich ist es genauso wichtig, dass die Angehörigen ihre eigenen Kräfte kennen und einteilen lernen. Dass sie unterscheiden können, was sie sich oft zwar aus tiefstem Herzen zumuten wollen, aber bis wann sie dies auch können, ohne selbst zu erschöpfen und krank zu werden. Wann und wie sie sich darauf einstellen können, aktive Selbstfürsorge zu betreiben, für Entlastungen zu sorgen und auch den Zeitpunkt nicht zu verpassen, die umfangreiche Pflege und Begleitung vollständig in professionelle Hände abzugeben. Dennoch: die Dankbarkeit, sowohl der Betroffenen mit einer Demenzerkrankung als auch der Angehörigen, ist ausgesprochen und unausgesprochen spürbar. Dadurch fördern wir die erhalten gebliebene Vertrautheit und die im Kern ungebrochene menschliche und familiäre Bindung, den Zusammenhalt. Auch wenn sich vieles Gewohntes für die Betroffenen mit einer Demenzerkrankung und für die Angehörigen allmählich wandelt. Wir erleben es nicht selten, dass Angehörige, die am Anfang vordergründig Ängste und Überforderung sahen, allmählich den Zeitpunkt des Ab- und Aufgebens immer weiter hinauszögern. Manchmal aus tiefer innerer Verbundenheit und manchmal auch aus Angst, dass das Alleinsein in der gefühlten Vorstellung noch unerträglicher wäre. Auch an dem Punkt brauchen Betroffene mit einer Demenzerkrankung und Angehörige professionelle Hilfe und Unterstützung, diese Schritte vorzubereiten und zu begleiten.


Chefarzt Dr. Oliver Somburg in der Klinik-Kirche der Diakonie Kliniken Zschadraß (Foto: © LVZ / Thomas Kube)