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Unlängst war ich einen Mann in einer Pflegeeinrichtung besuchen. Die Mitarbeitenden hatten mir gesagt: „Ach gehen Sie doch mal dorthin!“ Und ich bin gegangen. Nach ein paar Sätzen merkte ich, dass er nicht mehr sprechen konnte. Verstehen ja, aber nicht sprechen. Doch wir fanden eine Sprache: Daumen hoch hieß „Ja“. Daumen runter „Nein“ und Faust war ein „Weiß nicht.“ So haben wir uns verständigt. Er schaute gerade eine Quizshow und wir haben ein bisschen zusammen mitgeraten. Mit seinen Fingern zeigte er mir, auf welche Antwort er tippen würde. Ich hatte oft keine Ahnung, er hatte fast immer Recht.

Wer selbst nichts mehr sagen kann, braucht jemanden, der ihn versteht und für ihn spricht. Immer wieder begegnet uns das am Bett von Patienten, in der Altenhilfe, wenn Menschen Unterstützung brauchen. Und es sind ja nicht nur Krankheit oder Alter, die Menschen verstummen lassen. Auch soziale Notlagen, Schicksalsschläge, erdrückende Trauer oder eine anhaltende Pandemie nehmen Menschen manchmal die Worte. Wer spricht dann für sie, wenn nicht Angehörige oder Freunde oder Mitarbeitende in den helfenden Berufen?

Für Hilfsbedürftige einzustehen ist ein Appell der Bibel an uns Menschen.

„Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen“

...heißt es im Alten Testament im Buch der Sprüche 31,8. Und Jesus fordert im Gleichnis vom barmherzigen Samariter auf, sich in den anderen einzufühlen (Lukasevangelium 10,25-37). Was braucht der andere von mir? Wie kann ich ihm Nächster sein?

Im Diakonischen Arbeitsalltag gehört das Einfühlen zum täglichen Brot. Neben aller fachlichen Arbeit soll das Menschliche spürbar sein. Menschen brauchen mutmachende Worte und Verständnis. Manchmal brauchen sie jemanden, der für einen spricht oder der ihnen zu eigenen Worten verhilft.  Und wer selbst kein Wort mehr sagen kann, braucht eine Stimme, die für sie oder ihn spricht.

In Ausnahmesituationen wie jetzt sind oft nur die Lauten zu hören. Leise Stimmen gehen unter. Sie geraten aus dem Blick. Mancher fühlt sich vergessen. Sie brauchen Fürsprecher. Menschen, die für ihre Bedürfnisse eintreten. Eine Kette ist so stark wie ihr dünnstes Glied. Auch eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie die Zaghaften, die Leisen und die, die sich kaum trauen, zu Wort kommen lässt. Als Diakonie setzen wir uns dafür ein. Nicht nur mit Worten, vor allem mit unserer täglichen Arbeit. Und wenn mal die Worte fehlen, gibt’s ja zum Glück noch Hände...

Pfarrer Olaf Börnert
Seelsorger bei der Diakonie - Stadtmission Dresden gGmbH

 

Sprechende Hände